Einkommensteuer Reformvorschlag

Kalte Progression gerecht ausgleichen -
Steuer- und Sozialsystem ganzheitlich gestalten

Udo Brechtel, 3. Juli 2014
Aktuelles

BdSt legt Mogelpackung vor

31. August 2014:
Ungerechter Schröder-Merkel-Knick bleibt ...

Aufruf via Change.org

30. August 2014:
Klein- und Normalverdiener entlasten - Schonung der Einkommensstarken stoppen!
Zum Aufruf ... (abgeschlossen)

Vorbemerkung

Im Anbetracht dessen, dass bisher eine vernünftige Anpassung des Einkommensteuertarifs an die wirtschaftliche Entwicklung verhindert haben, mache ich hiermit den folgenden Reformvorschlag. Dieser ist um Ausgleich bemüht. Weil sogenannte "radikale Steuerreformen" in der Vergangenheit stets gescheitert sind, halte ich die Korrektur in vielen kleinen Schritten für sinnvoller. Das politische Meinungsspektrum sollte damit in weiten Bereichen leben können.

Erforderliche Maßnahmen

Die Anpassung des Tarifverlaufes muss so erfolgen, dass langfristig wieder ein durchgehend linear-progressiver Tarif entsteht. Der linear-progressive Tarif verwirklicht das Verfassungsprinzip der "Gleichmäßigkeit der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit" (Art. 3 GG) und das "Sozialstaatsprinzip" (Art. 20 GG) in fast idealer Weise. Im Jahre 1990 war das eine große Errungenschaft, die aber leider aus verschiedenen Gründen wieder zerstört wurde.
Mein Vorschlag soll nur die "kalte Progression im engeren Sinne" ausgleichen, also die inflationsbedingte Verschiebung. Jedoch ist es auch wichtig, den Kennlinienknick bei 13.470 Euro (oft nicht ganz korrekt als "Mittelstandsbauch" bezeichnet), zu linearisieren. Die dadurch entstehende Überkompensation muss ausgeglichen werden. Außerdem muss endlich das Steuer- und Sozialystem ganzheitlich gesehen und aufeinander abgestimmt werden.
Dazu halte ich folgende Maßnahmen für erforderlich:
  1. Jährliche Anhebung des Grundfreibetrages (Existenzminimum) um die Inflationsrate.
  2. Absenkung des Kennlinienknicks (sog. "Mittelstandsbauch") bei 13.470 Euro (23,97%) um etwa 0,67 Prozentpunkte je Schritt - bis ein durchgehend linearer Verlauf hergestellt ist. Das ist die wichtigste Maßnahme, weil davon die meisten Menschen profitieren!
  3. Schrittweise Rechtsverschiebung des Eckwertes 52.881 Euro um die Inflationsrate (mit Varianten).
  4. Einführung einer linearen Progression für sehr hohe Einkommen, die den Grenzsteuersatz um etwa 0,018 Prozentpunkte je 1000 Euro Einkommenszuwachs steigert. Dadurch gilt für ein zu versteuerndes Einkommen von 500.000 Euro ein Grenzsteuersatz von 49,8 Prozent (Spitzensteuersatz).
  5. Abschaffung fragwürdiger Freibeträge und Steuerermäßigungen, um die Steuersystematik zu vereinfachen.
  6. Schrittweise Synchronisation des Steuer- und Sozialsystems unter Beachtung der ganzheitlichen Wirkung.
Diese Maßnahmen bilden einen ganzheitlichen Zusammenhang und sind konzeptionell aufeinander abgestimmt. Es sind natürlich unterschiedliche Gewichtungen der Einzelmaßnahmen möglich, wobei die Punkte 1, 2 und 4 jedoch stets Vorrang haben müssen.

Wirkung auf den Einkommensteuertarif

Variante 1

Das folgende Bild (animierte GIF-Grafik) zeigt ein denkbares Szenario (Variante 1) für den Einkommensteuertarif mit einer angenommenen Inflationsrate von 2 Prozent jährlich. Hierbei werden alle Eckwerte je Schritt um die Inflationsrate nach rechts verschoben.
Es ist erkennbar, dass die Verschiebung der strichpunktierten Linie für den Grenzsteuersatz sich sehr stark auf den tatsächlichen Steuersatz (Durchschnittsteuersatz, durchgezogene Linie) auswirkt. Der Durchschnittsteuersatz ist maßgeblich für die Entlastungswirkung insgesamt. Von der Linearisierung profitieren also auch Einkommen von deutlich mehr als 60.000 Euro. Man mag kritisieren, dass das alles viel zu langsam gehe, aber wenn ich mir die diesbezüglichen Aktivitäten der letzten 10 Jahre anschaue, so wäre das tausendmal besser!

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Jedoch könnte die automatische Durchführung meines Reformvorschlages eine zu starke Senkung der Steuereinnahmen herbeiführen und damit die Handlungsfähigkeit der staatlichen Gemeinschaft gefährden. Daher ist jeweils zu prüfen, ob die Durchführung des nächsten Reformschrittes durchführbar ist. Dabei ist die Abschaffung fragwürdiger Freibeträge oder Steuerermäßigungen zu erwägen, um die Steuersystematik zu vereinfachen! Außerdem müssen das Beitragssystem in der Sozialversicherung und das Steuersystem ganzheitlich gesehen werden. Daher halte ich eine Synchronisierung der Belastungen aus beiden Systemen für erforderlich. Die schrittweise Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen wäre hilfreich, um die steuerliche Entlastung gleichmäßiger zu verteilen.
Die Entlastung fällt nicht zu gering aus, weil im betrachteten Zeitraum bis 2025 die als Freibetrag abziehbaren Altervorsorgeaufwendungen um jährlich 2 Prozentpunkte angehoben werden. Das ist eine automatische steuerliche Entlastung, die ohnehin bereits regelmäßig stattfindet und oft übersehen wird.

Variante 2

Sollte es nicht möglich sein, die Überkompensation der kalten Progression durch Abschaffung fragwürdiger Freibeträge oder Steuerermäßigungen zu neutralisieren, so kommen noch zwei andere Varianten in Betracht. In Variante 2 wird nur der Grundfreibetrag um die Inflationsrate verschoben, die anderen Eckwerte jedoch nur um die Hälfte der Inflationsrate. Dadurch wird die Überkompensation abgemildert.

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Variante 3

In Variante 3 wird der Grundfreibetrag ebenfalls um die Inflationsrate verschoben, die anderen Eckwerte jedoch nur um den absoluten Eurobetrag, der sich rechnerisch für die Verschiebung des Grundfreibetrages ergibt. Dadurch wird die Überkompensation noch stärker abgemildert.

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Übrigens, wussten Sie schon,

dass die Tarifreformen seit 1999 vorwiegend den Beziehern sehr niedriger und sehr hoher Einkommen genutzt haben? Besonders für hohe Einkommen wurde die kalte Progression in den letzten 20 Jahren überkompensiert. Daher halte ich die Einführung einer linearen Progression für hohe Einkommen für gerechtfertigt.
Den Begriff "Reichensteuer" finde ich fragwürdig, weil sich dann sofort die Frage nach der Grenze zwischen Arm und Reich stellt. Die aktuelle Grenze bei 250.730 Euro bedeutet ja, dass man bei 250.729 Euro noch nicht reich ist. Verdient man einen Euro mehr, wird man in den Personenkreis der Reichen eingeordnet. Das ist auch bei dem Steuertarif der Linken so: bis 999.999 Euro ist man nicht reich, darüber plötzlich reich. Auch der legendäre FDP-Stufentarif hatte willkürlich gesetzte Stufen. Das ist eben ein grundsätzliches Problem bei Stufentarifen.
Was ich damit sagen will: Die Übergänge sind in Wirklichkeit fließend, was der linear-progressive Tarif viel besser abbildet. Außerdem tritt an den Sprungstellen von Stufentarifen eine besonders hohe kalte Progression auf, was oft übersehen wird. Auch hier ist der linear-progressive Tarif von Vorteil.

Einführung einer linearen Progression für hohe Einkommen

Das folgende Bild (animierte GIF-Grafik) zeigt die Variante 1 für den Bereich zu versteuernder Einkommen von bis zu 1.000.000 Euro.

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Mit meinem Vorschlag würde erstmals ein linear-progressiver Verlauf für sehr hohe Einkommen eingeführt werden. Die bisherige Tarifstufe bei 250.730 Euro wird dadurch linearisiert. Man kann darüber diskutieren, ob die Steigung bei 500.000 Euro (49,8 %) endet oder ob diese Steigung weitergeführt wird, so dass ab 1.000.000 Euro ein Grenzsteuersatz von etwa 59 % gelten könnte.

Abschaffung fragwürdiger Freibeträge und Steuerermäßigungen

Fragwürdige Freibeträge

Bei der Abschaffung fragwürdiger Freibeträge muss zunächst das Nettoprinzip beachtet werden, wonach vor der Besteuerung der Einnahmen die objektiv und subjektiv notwendigen Kosten davon abgezogen werden müssen. So sind die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte notwendig zur Erzielung des Arbeitsentgeltes. Die versuchte Abschaffung des diesbezüglichen Werbungskostenfreibetrages wurde vom Bundesverfassungsgericht folgerichtig verworfen. Es geht mir hier also nur um diejenigen Freibeträge und Steuerermäßigungen, die nicht zum Nettoprinzip gehören.

Fragwürdige Steuerermäßigungen

Wenn man die Anteile gezahlter Steuern vom zu versteuernden Einkommen (zvE) in der Lohn- und Einkommensteuerstatistik betrachtet, so gibt es deutliche Abweichungen gegenüber den tariflichen Durchschnittsteuersätzen, die sich eigentlich nach § 32a EStG ergäben. Die beiden folgenden Grafiken zeigen diesen Effekt getrennt für die Statistik nach Grundtarif und Splittingtarif.

Bei niedrigen Einkommen ist der Steuersatz höher, als nach dem Tarif zu erwarten wäre. Dafür gibt es folgende Gründe:
Bei mittleren und hohen Einkommen ist der Steuersatz dagegen teilweise niedriger. Besonders deutlich fällt dieser Effekt bei sehr hohen Einkommen auf (über etwa 250.000 Euro bei Paaren und über etwa 125.000 Euro bei Einzelpersonen). Der wichtigste Grund ist:
Im Zusammenhang mit der "Kalten Progression" wird das leider geflissentlich übersehen. Es bietet sich jedoch an, die teilweise Überkompensation der kalten Progression durch die Abschaffung fragwürdiger Steuerermäßigungen zu neutralisieren. Dieses Anliegen hatten auch schon frühere "radikale Steuerkonzepte". Im Unterschied zu diesen Vorschlägen soll mein Ansatz jedoch keine Löcher im Staatshaushalt erzeugen und auch nicht den Spitzensteuersatz "radikal" absenken.

Steuer- und Sozialsystem ganzheitlich gestalten

Bei Arbeitnehmern ist die Belastung aus Sozial- und Steuersystemen nicht gleichmäßig nach der Leistungsfähigkeit gestaltet. Durch die Beitragsbemessungsgrenzen wird der Grenzbeitragssatz in Stufen abgesenkt, wenn das Einkommen steigt. Das bedeutet: Es wäre sinnvoll, ernsthaft über eine zweckmäßige Synchronisation dieser beiden Systeme nachzudenken! Das Problem ist, dass sich die beiden gegensätzlichen Wirkungen nicht etwa neutralisieren, sondern dass sie sich bei mittleren Einkommen addieren und diese Gruppe deshalb besonders belasten.

Auswirkungen

Entlastungswirkung

Die folgenden Übersichtstabellen zeigen die Wirkung meines Reformvorschlages auf den Einkommensteuertarif, wenn die jährliche Inflationsrate 2 % beträgt und die zu versteuernden Einkommen (zvE) ebenfalls um 2 % jährlich steigen. Dabei ist zu beachten, dass eine Entlastung über den Ausgleich der Inflation hinaus durch die anderen Maßnahmen meines Reformvorschlages kompensiert werden soll.

Variante 1

20142024
zvESteuerbetragSteuersatzzvESteuerbetragSteuersatz
12000 639 5,3 % 14628 673 4,6 %
24000 3748 15,6 % 29256 3608 12,3 %
36000 7532 20,9 % 43884 7647 17,4 %
48000 11975 24,9 % 58512 12790 21,9 %
60000 16961 28,3 % 73140 18848 25,8 %
72000 22001 30,6 % 87768 25034 28,5 %
84000 27041 32,2 %102396 31258 30,5 %
96000 32081 33,4 %117023 37520 32,1 %
108000 37121 34,4 %131651 43821 33,3 %
120000 42161 35,1 %146279 50159 34,3 %
240000 92561 38,6 %292559 115656 39,5 %
360000 146239 40,6 %438838 184985 42,2 %
480000 200239 41,7 %585117 257496 44,0 %
600000 254239 42,4 %731397 330343 45,2 %

Variante 2

20142024
zvESteuerbetragSteuersatzzvESteuerbetragSteuersatz
12000 639 5,3 % 14628 679 4,6 %
24000 3748 15,6 % 29256 3725 12,7 %
36000 7532 20,9 % 43884 8014 18,3 %
48000 11975 24,9 % 58512 13545 23,1 %
60000 16961 28,3 % 73140 19708 26,9 %
72000 22001 30,6 % 87768 25908 29,5 %
84000 27041 32,2 %102396 32147 31,4 %
96000 32081 33,4 %117023 38423 32,8 %
108000 37121 34,4 %131651 44737 34,0 %
120000 42161 35,1 %146279 51089 34,9 %
240000 92561 38,6 %292559 116686 39,9 %
360000 146239 40,6 %438838 186063 42,4 %
480000 200239 41,7 %585117 258579 44,2 %
600000 254239 42,4 %731397 331426 45,3 %

Variante 3

20142024
zvESteuerbetragSteuersatzzvESteuerbetragSteuersatz
12000 639 5,3 % 14628 684 4,7 %
24000 3748 15,6 % 29256 3813 13,0 %
36000 7532 20,9 % 43884 8288 18,9 %
48000 11975 24,9 % 58512 14064 24,0 %
60000 16961 28,3 % 73140 20236 27,7 %
72000 22001 30,6 % 87768 26446 30,1 %
84000 27041 32,2 %102396 32693 31,9 %
96000 32081 33,4 %117023 38978 33,3 %
108000 37121 34,4 %131651 45300 34,4 %
120000 42161 35,1 %146279 51659 35,3 %
240000 92561 38,6 %292559 117313 40,1 %
360000 146239 40,6 %438838 186711 42,5 %
480000 200239 41,7 %585117 259210 44,3 %
600000 254239 42,4 %731397 332057 45,4 %
Ausführliche Tabellen als PDF-Datei (ca. 13 KiB) ...

Mathematische Grundlagen

Es gibt nach 10 Reformschritten nur noch 3 Zonen (über der Nullzone), weil der untere Kennlinienknick und die obere Stufe wegfallen. Die Formeln in Anlehnung an $ 32a Abs.1 EStG sehen folgendermaßen aus (mit 2 % Preissteigerungsrate):

Variante 1

Variante 2

Variante 3


StB = Steuerbetrag in Euro
zvE = jährlich zu versteuerndes Einkommen in Euro

Statistische Einordnung

Die derzeit genaueste Auswertung der Einkommensverteilung liefert die dreijährliche Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2007 (destatis, 2012). Die folgenden Grafiken zeigen, wie die Anzahl der Einzelpersonen und (Ehe)Paare nach den zu versteuernden Einkommensklassen verteilt sind.

Die Anzahl der Personen oder Paare wirft jedoch ein falsches Licht auf die tatschliche zvE-Verteilung. Besser ist es, die Verteilung der zvE-Summen zu betrachten.

Wie man erkennt, gibt es im Intervall sehr hoher Einkommen ein großes Potential an zu versteuernden Einkommen (zvE), obwohl die Zahl der Personen oder Paare verhältnismäßig gering ist. Unter den Spitzenverdienern waren im Jahr 2007 16.846 "Einkommensmillionäre" mit durchschnittlichen Einkünften von 3,1 Millionen Euro. Von ihnen musste jeder im Durchschnitt 1,1 Millionen Euro Einkommensteuer zahlen (destatis).

Auswirkung auf die Steuereinnahmen

Die Auswirkung auf die Steuereinnahmen für die nächsten 10 Jahre kann man natürlich nur schätzen. Da haben auch die Wirtschaftsforschungsinstitute ein Problem. So hatte beispielsweise das IAW in einer aufwändigen Untersuchung, die im Jahr 2007 durchgeführt wurde, die Einkommensverteilung von 2001 (dreijährliche Statistik, destatis) auf das Jahr 2006 hochgerechnet und davon ausgehend für das Jahr 2012 prognostiziert. Vergleicht man diese Zahlen mit der inzwischen vorliegenden dreijährlichen Statistik 2007, so gibt es trotz der akribischen Analyse deutliche Abweichungen. Prognosen sind halt immer unsicher.
Ich beschränke mich daher auf die grobe Abschätzung, ob mein Konzept stimmig ist. Dabei gehe ich von einem Vorher-nachher-Vergleich aus, der mit einer angenommenen (auf sachgerechten Erwägungen basierenden) Einkommensverteilung arbeitet. Maßgebend muss hier das zu versteuernde Einkommen (zvE) im Sinne des Einkommensteuerrechts sein, weil es den Dreh- und Angelpunkt der komplexen Steuerberechnung darstellt. Ausgehend von der dreijährlichen Statistik 2007 (destatis) wurden die zvE-Summen mit jährlich 1,5 % auf 2014 hochgerechnet, und diese zvE-Verteilung wurde mit 2 % Steigerungsrate auf 2024 (Reformschritt 10, Modellannahme) prognostiziert.

Details können der PDF-Datei entnommen werden.
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Als Ergebnis dieser groben Abschätzung ergeben sich nach 10 Reformschritten folgende Steigerungen für das Steueraufkommen aus der Einkommensteuer (2014 = 100%): Bei einer Kompensation der "Kalten Progression im engeren Sinne" müssten die Steuereinahmen genau so schnell steigen, wie der hier angenommene Preisindex von 121,9% (2014 = 100%). Das ist nach dieser Einschätzung nicht ganz der Fall. Daher sollten noch andere Maßnahmen zur Neutralisierung (fragwürdige Freibeträge abbauen, Synchronisierung mit dem Sozialsystem) durchgeführt werden.
Betrachtet man alternativ ein Modell, bei dem die zu versteuernden Einkommen um jährlich 2,5 % steigen und die Preissteigrungsrate bei angenommenen 2,0 % bleibt, so ändern sich die Indizes der Einkommensteuereinnahmen folgendermaßen. Damit wird gezeigt, dass auch stärkere Lohnerhöhungen zum Inflationsausgleich beitragen, was man nicht vergessen sollte.

Exkurs

Entwicklung seit 1990

In der Tarifgeschichte seit 1990 wurden bereits Maßnahmen gegen die kalte Progression durchgeführt. Besonders stark profitierten sehr niedrige und sehr hohe Einkommensbezieher. "Normale" Einkommen wurden aber durch den "Schröder-Merkel-Knick" bei 13.470 Euro weniger entlastet. Seit 2004 steht dieser Knick wie festgenagelt im Tarifverlauf. Das ist das Problem!
Im folgenden Bild (animierte GIF-Grafik) kann man das nachvollziehen:

Bild grer...

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Einzelbilder für zvE-Bereich bis 70.000 Euro als PDF-Datei (ca. 3.225 KiB) ...
Einzelbilder für zvE-Bereich bis 300.000 Euro als PDF-Datei (ca. 1.080 KiB) ...
Der 1990 eingeführte linear-progressive Tarif war eine große Errungenschaft in der Tarifgeschichte. Leider hatte man damals übersehen, dass das Existenzminimum - übrigens schon seit 1958 - besteuert wurde. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Praxis für verfassungswidrig. Nun hätte man das durch Anpassung des Tarifverlaufes insgesamt korrigieren können. Aber nein, zum Ausgleich für die Anhebung des Grundfreibetrages wurden im Jahr 1996 lediglich der Eingangssteuersatz und die Grenzsteuersätze für niedrige Einkommen angehoben ("Waigel-Knick" bei umgerechnet etwa 28.500 Euro).
In der weiteren Entwicklung ab 1998 wurde das ins andere Extrem verschoben: 2004 hatten wir den "Schröder-Knick" bei etwa 13.000 Euro, der dann auch als "Merkel-Knick" beibehalten wurde. Eine diesbezügliche Reform ist überfällig.

Tarif 1990 hochgerechnet

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie der Einkommensteuertarif aussehen würde, hätte man den Tarif aus dem Jahr 1990 bereits in der Vergangenheit jedes Jahr um die Inflationsrate nach rechts verschoben. Ich habe das einmal nachvollzogen und stelle das Ergebnis im folgenden Bild vor.

Der Tarif von 1990 ist darin grün dargestellt, rot ist die mittels Verbraucherpreisindex 158,5 hochgerechnete Kennlinie (Verschiebung nach rechts). Die aktuelle Grafik von 2014 ist blau dargestellt. Würde man den Grundfreibetrag auf den heutigen Wert erhöhen, ergäbe sich schon ein interessantes Szenario für eine alternative Gestaltung des Tarifverlaufes. Jedenfalls stellt mein Reformvorschlag vor diesem Hintergrund einen durchaus annehmbaren Kompromiss dar.

Missverständnisse

Grenzsteuersatz vs. (Durchschnitt)Steuersatz

Quelle: n24
In (fast) allen Medien wird bei der Diskussion über den Einkommensteuertarif lediglich der Verlauf des Grenzsteuersatzes grafisch dargestellt. Geben Sie mal in Google Folgendes ein:
dpa grafik einkommensteuer" oder "afp grafik einkommensteuer". Sie erhalten nur Grafiken, die den Grenzsteuersatz zeigen (beispielsweise die afp-Grafik auf n24 im Bild rechts).
Der Unterschied zwischen dem tatsächlichen Steuersatz (Durchschnittsteuersatz) und dem Grenzsteuersatz ist vielen Zeitgenossen leider nicht so genau bekannt. Daraus resultieren oft falsche Meinungen über die Höhe der steuerlichen Belastung.
Quelle: sueddeutsche.de
Unbefangene Zeitungsleser oder Fersehzuschauer glauben häufig, bei der dargestellten Kennlinie handele es sich um den Verlauf des Durchschnittsteuersatzes und lesen dementsprechend die Steuersätze ab. Obwohl dies wahrscheinlich von den Redaktionen nicht beabsichtigt ist, so hege ich dennoch die Vermutung, dass dieses Missverständnis den "fanatischen Steuersenkern" in unserem Lande sehr gelegen kommt. Abhilfe wäre durch vollständige fachliche Information möglich, so wie dies beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung vorbildlich gelöst wurde.

Brutto vs. zu versteuerndes Einkommen

In der öffentlichen Diskussion tauchen immer wieder Medienberichte und Kommentare auf, in denen behauptet wird, der "Spitzensteuersatz" liege bei 42 Prozent und beginne bei einem "Brutto" von etwa 52.000 Euro zu greifen. Abgesehen davon, dass der Spitzensteuersatz in Deutschland 45 Prozent beträgt (dazu weiter unten mehr), so ist es schlicht falsch, dass der tatsächliche Eckwert 42%/52.881€ (ESt-Tarif 2014) sich auf das Brutto bezieht.
Richtig ist vielmehr, dass zum Grenzsteuersatz 42 Prozent ein zu versteuerndes Einkommen (zvE) von 52.881 Euro gehört. Dieses zvE wird berechnet, indem man vom Bruttoeinkommen die Werbungskosten, die Vorsorgeaufwendungen und eventuell weitere Freibeträge abzieht. Die Grafik rechts zeigt diesen Zusammenhang, wobei die "Einnahmen" dem "Bruttoarbeitsentgelt" entsprechen.
Das bedeutet, dass bei einem zu versteuernden Einkommen von 52.881 Euro ein jährliches Bruttoeinkommen von mindestens 61.510 Euro vorliegen muss. Mindestens deswegen, weil oft weitere Freibeträge abgezogen werden können.

Spitzensteuersatz

Es wird oft gesagt, dass man vor 50 Jahren das 20-fache des Durchschnitts verdienen musste, um in den Bereich des Spitzensteuersatzes zu gelangen. Heute sei es das 1,6-fache. Das stimmt nicht. Vor 50 Jahren betrug der Spitzen(grenz)steuersatz 53 % und wirkte für z. v. Einkommensteile über 110.040 DM (56.263 €). Der heutige Eckwert von 42 % bei 52.881 € ist aber nicht so ohne Weiteres damit vergleichbar! Wie man sieht, ist der Grenzsteuersatz an dieser Stelle drastisch gesenkt worden.
Sodann muss bercksichtigt werden, dass vor 50 Jahren das Existenzminimum verfassungswidrig besteuert wurde. Die Anhebung des Grundfreibetrages führte jedoch im Jahre 1996 zu einer grundsätzlichen Änderung des gesamten Tarifgefüges. Das wird gern verschwiegen.
Außerdem wurde im Jahre 2007 der Spitzensteuersatz auf 45 % bei 250.000 € erhöht. Die so genannte "Reichensteuer" ist keine eigenständige Steuer, sondern eine zusätzliche Stufe im Verlauf des Grenzsteuersatzes.
Sprachlich bezeichnet man mit der "Spitze" immmer das Maximum dessen, was möglich ist. Folglich ist 45 % der Spitzensteuersatz! Die Kritiker des vorgenannten Eckwertes von 42 % bei 52881 € sollten eigentlich besser den Tarifverlauf insgesamt kritisieren, der durch die Reformen seit 1998 entstanden ist.

Einzelnachweise

https://de.wikipedia.org/wiki/Linear-progressiver_Tarif
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalte_Progression
https://de.wikipedia.org/wiki/Mittelstandsbauch
https://de.wikipedia.org/wiki/Einkommensteuertarif
https://de.wikipedia.org/wiki/Grenzsteuersatz
https://de.wikipedia.org/wiki/Durchschnittssteuersatz_(Einkommensteuer)
http://de.wikipedia.org/wiki/Vorsorgeaufwendungen#Aufwendungen_fr_die_Altersvorsorge
https://de.wikipedia.org/wiki/Nettoprinzip_(Steuerrecht)
https://de.wikipedia.org/wiki/Freibetrag
https://de.wikipedia.org/wiki/Steuerermigung
http://de.wikipedia.org/wiki/Progressiver_Tarif
http://de.wikipedia.org/wiki/Degressiver_Tarif
Tarifgrafik_zvE_bis_90000_Variante_1.pdf
Tarifgrafik_zvE_bis_90000_Variante_2.pdf
Tarifgrafik_zvE_bis_90000_Variante_3.pdf
Tarifgrafik_zvE_bis_1000000_Variante_1.pdf
Tarifgrafik_zvE_bis_1000000_Variante_2.pdf
Tarifgrafik_zvE_bis_1000000_Variante_3.pdf
ESt-Tabelle_Reformvorschlag.pdf
Verifizierung_Steueraufkommen_Reformvorschlag.pdf
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/OeffentlicheFinanzenSteuern/Steuern/LohnEinkommensteuer/LohnEinkommensteuer.html
https://www.google.de/search?q=dpa+grafik+Einkommensteuer&tbm=isch
https://www.google.de/search?q=afp+grafik+Einkommensteuer&tbm=isch
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/deutsches-steuersystem-kurven-die-die-welt-bedeuten-1.1727308
http://polpix.sueddeutsche.com/bild/1.1727360.1384200482/860x860/agenda.jpg
http://www.bpb.de/apuz/155703/gerechtigkeits-prinzipien-des-deutschen-steuersystems?p=all
http://www.bpb.de/apuz/155713/steuergerechtigkeit-statt-staatsverschuldung
http://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.424927.de
http://www.boeckler.de/45167_46945.htm

Letztes Update: 28. August 2014
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